24. Oktober 2020

 

Dystopien

in Zeiten von Pandemie und fragwürdigen Präsidenten

 

Pessimistische Literatur, die sich mit negativen Gegenwartsbeschreibungen und/oder Zukunftsentwürfen beschäftigt, ist traditionell weiter verbreitet als ihr optimistisches Gegenstück, die Utopie. Vermutlich einfach deshalb, weil sich aus düsteren Szenarien die spannenderen Geschichten machen lassen.

 

Gerade in besonders schwierigen oder gefährlichen Zeiten dient die Dystopie gerne als Spiegelung von bzw. Warnung vor aktuellen Entwicklungen. Grundsätzlich hat zwar wahrscheinlich jede Generation das Gefühl, in besonders gefährlichen Zeiten zu leben, aber in diesem Jahr trifft das zumindest insoweit zu, dass zwei ungewöhnliche und in ihrem Ausmaß (fast) neuartige Gefahren unsere Welt bedrohen: Zum einen eine auf dem ganzen Planeten wütende Pandemie, zum anderen ein "freiwilliges" Abdriften der USA (und anderer Staaten) in undemokratische Gefilde.

Zwei beklemmende Szenarien, die auch in der Literatur - insbesondere der SF-Literatur - bereits in der Vergangenheit behandelt wurden und aufgrund der momentanen Lage aktueller denn je sind.

 


Thema: Pandemien, Seuchen

 

Eine Welt, in der ein großer Teil der Menschheit von einer Seuche dahingerafft wird - dieses Motiv ist nicht neu. Nach den Erfahrungen des Mittelalters musste dafür in früheren Erzählungen häufig die Pest herhalten: Eines der berühmtesten Beispiele ist Edgar Allen Poes "Die Maske des roten Todes" über eine Gruppe von privilegierten Feierwütigen, die sich für unantastbar halten und deshalb glauben, die Krankheit aus ihrem eigenen Umfeld aussperren zu können. Nun ja ...

 

Die Science-Fiction setzt sich üblicherweise nicht nur mit dem Verlauf einer Pandemie auseinander, sondern insbesondere mit der Zeit danach. Mit einer nahezu entvölkerten Welt, mit den Folgen für eine in ihrer Entwicklung zurückgeworfene Menschheit, mit den Kämpfen um die letzten verbliebenen Ressourcen oder mit dem Versuch, aus den Überresten einer untergegangenen Zivilisation wieder aufzuerstehen.

 

Einer der frühen Beiträge zum Thema ist beispielsweise Jack Londons Kurzgeschichte "Die Scharlachpest" von 1912, einer der bekanntesten "The Stand" von Stephen King, und in den aktuellen Bestsellerlisten findet sich "Der Wal und das Ende der Welt" des Briten John Ironmonger.

Des Weiteren seien als brandaktuelle  deutschsprachige Beispiele der Roman "Todesbrut" von Klaus-Peter Wolf oder auch die Anthologie "Pandemie" (Hrsg.: René Moreau, Hans Jürgen Kugler) genannt. Und als dringende Empfehlung nicht zuletzt der Siegerroman des sf-Lit Award 2016: Emily St. John Mandels "Das Licht der letzten Tage".

 

Das Thema ist also schon vielfach bearbeitet worden, gelesen wurde es aber wohl noch nie mit derartig aktuellem Bezug.

 


 

 

Thema: Abstieg einer einst gefestigten Demokratie 

 

Auch zur zweiten genannten Bedrohung, die in diesem Jahr so akut wie selten (oder nie) erscheint, gibt es bereits einige Lektürebeispiele. Sie unterteilen sich in zwei Kategorien:

Einst wurden Geschichten, in denen die USA oder andere als stabil geltende Demokratien in Richtung eines faschistischen, totalitären Staats abrutschen, als doch eher abstrakte Zukunftsvisionen verfasst. "Schöne neue Welt" (Aldous Huxley), "1984" (George Orwell) oder "Fahrenheit 451" (Ray Bradbury) fallen einem hier als bekannteste Klassiker ein, "Der Report der Magd / Die Zeuginnen" (Margaret Atwood) oder auch "Die Tribute von Panem" (Suzanne Collins) als aktuellere Beispiele.

Doch seit der US-Präsidentschaftswahl 2016 finden sich auch Romane, die ganz konkret die damit begonnene Entwicklung zum Thema haben und diese weiterdenken. Da es kaum möglich erscheint, das seither zur Realität gewordene noch weiter satirisch zu überspitzen, bleibt einem bei Werken wir "Der größte Kapitän aller Zeiten" (Dave Eggers) oder "Die F*ck-it-Liste" (John Niven) das Lachen des Öfteren im Halse stecken. Lesenswerte Bücher zum Thema gibt es gleichwohl eine ganze Reihe.

 


 

 

Hoffen wir also einfach alle gemeinsam, dass die Pandemie schnellstmöglich besiegt und überwunden wird und dass sich die Demokratien der Welt als stabil und wehrhaft erweisen.

Dann wird vielleicht an dieser Stelle einst ein Artikel über Utopien erscheinen ...