Neil Sharpson
Ecce Machina - Die Seele der Maschine
"When the Sparrow Falls"
2021
Übersetzung: Simon Weinert
Piper
416 Seiten
Der Roman des Iren Neil Sharpson spielt in einer Zukunft, in der Androiden und Künstliche Intelligenzen auf der ganzen Welt selbstverständliche Bestandteile des Alltags geworden sind - außer in einem kleinen, widerständigen Land, der sogenannten "Kaspischen Republik".
Doch dort herrschen deshalb keinesfalls Freiheit, Unabhängigkeit und Glück, sondern ganz im Gegenteil: Das strikte Verbot jeder Form von KI ist nur eines von vielen in diesem durch und durch autoritären, brutalen und rückständigen Überwachungsstaat, der in vielerlei Hinsicht an die DDR erinnert.
Als ein für seine radikale Regimetreue bekannter Journalist zu Tode kommt, reist seine im Ausland lebende Witwe an, um ihn zu identifizieren. Ein hochpolitischer Vorgang, denn normalerweise erhalten Gäste aus dem feindlichen Ausland - und für die Kaspische Republik ist praktisch jedes Land feindlich - keinen Zutritt. Sie muss also von einem Agenten der Staatssicherheit auf Schritt und Tritt begleitet werden. Im Zuge dieser brisanten Operation kommen nach und nach alle möglichen Überraschungen ans Licht.
Hier ist zunächst schon mal bemerkenswert, dass der Autor sich als Hauptfigur ausgerechnet einen Angestellten der "StaSich" ausgesucht hat, denn so jemand hat es als Sympathieträger naturgemäß nicht leicht. Und ein solcher ist er auch durchaus nicht, doch gerade dadurch erweist sich diese Wahl als gelungener Kunstgriff. Denn eine der großen Stärken des Romans ist seine Ambivalenz: Es wird keine simple Schwarz-Weiß-Malerei betrieben, sondern sowohl die Figuren als auch die Themen in dieser Geschichte werden von verschiedenen Seiten beleuchtet, so dass eine klare Positionierung oft schwerfällt.
Ein Land wie die Kaspische Republik kann nur durch Mittäter und Mitläufer funktionieren. Doch ganz so einfach ist es auch wieder nicht, denn es gibt eben nicht nur rücksichtslose Überzeugungstäter, wenngleich es die natürlich zuallererst braucht. Aber während sich einige als willige Vollstrecker entpuppen oder bewusst die Augen verschließen, flüchten andere in die sogenannte "innere Emigration" oder werden widerwillig ins System gezwungen.
Zweifel am eigenen Verhalten können jederzeit aufkommen, und zwar bei allen Beteiligen.
Auch auf die in jener Welt herrschende ungebremste KI-Technologie gibt es eine positive und eine negative Sichtweise, was zu gegensätzlichen, sich feindlich gegenüberstehenden Ideologien führt. Doch so ganz vollständig richtig oder falsch liegt bei genauer Betrachtung keine der beiden Seiten. Wie wir es auch heute schon gerade beim Thema "KI" erleben, kann man also sagen: es ist kompliziert.
Was bietet der Roman sonst noch? Kurz zusammengefasst: Die Handlung ist spannend und überrascht mehrmals. Es werden jede Menge philosophische, moralische und gesellschaftliche Fragen aufgeworfen. Der Weltenbau ist ebenso komplex wie originell. Und nicht zuletzt: trotz der Ernsthaftigkeit des Themas wird das alles in einem extrem unterhaltsamen, bissig-humorvollen Stil erzählt.
Dieser kann sich schlicht in amüsanten Formulierungen äußern,
Grier feuerte eine Salve Flüche in die Leitung, die eindrucksvoll alle Bereiche des Unflätigen abdeckten: Sex, Ausscheidungen und Gotteslästerung. (Seite 142)
präzise Figuren-Charakterisierungen liefern
Die Tür war nicht aufgebrochen worden. Sie war schlicht von jemandem geöffnet worden, bei dem Schlösser genauso wirkungslos waren wie Gesetze oder das Betteln um Gnade. (Seite 59)
oder sogar in knappen Worten ganze Diktatur-Funktionsweisen erklären.
Wenn zum Beispiel eine hohe Funktionärin zu ihren Untergebenen spricht, dann hört sich das schon mal so an:
"Hatten Sie jemals den Eindruck ...", fing Niemann an, und alle anderen am Tisch bereiteten sich darauf vor, jenen Eindruck zu bekommen, nach dem Niemann sie gleich fragen würde, "... dass mit diesem Mann etwas nicht stimmt? " (Seite 12)
Fazit: Ein Science-Fiction-Highlight! Bitte mehr davon, Mister Sharpson.