Gabriele Behrend

Salzgras & Lavendel

 

2020

   

 

 

 

 

 

p.machinery

312 Seiten



Die Geschichte spielt in einer Welt, in der (fast) alle Menschen ein Gerät im Kopf implantiert haben, mit dessen Hilfe sie zwischen verschiedenen Persönlichkeiten hin- und herschalten können. Jede davon erfüllt ihre eigene Funktion und kann je nach Situation eingesetzt werden. Auf diese Weise lassen sich verschiedene Gefühlslagen fein säuberlich voneinander trennen und so beispielsweise Trauer oder Wut zunächst mal ausschalten, um sie erst zum "passenden" Zeitpunkt loszulassen. Alles zu seiner Zeit eben. Sehr effizient.

Doch es kommt, wie es kommen muss: Die implantierten "Sockets" machen Probleme. Logisch, denn sonst gäbe es ja keinen Roman ...

 

Die Handlung folgt mehreren Hauptfiguren, die jede auf ihre Art mit dieser alles verändernden Erfindung lebt und/oder zu kämpfen hat. Da jeder dieser Charaktere sich wie beschrieben in mehrere Persönlichkeiten aufspaltet, ist der Einstieg ins Buch zunächst etwas verwirrend. Doch die Autorin lässt uns nicht allzu lange im Dunkeln tappen und erklärt glücklicherweise recht schnell, wie diese Welt funktioniert.

 

Positiv:

- Die Grundidee, Aspekte der Psychotherapie (Aufspaltung der Persönlichkeit) wörtlich zu nehmen bzw. eine technische Lösung dafür zu schaffen. Sehr ungewöhnlich und originell.

- Die Sprache, der Schreibstil. Teilweise recht poetisch, aber dabei jederzeit klar und eindeutig, ohne übertrieben verkopft (sic!) rüberzukommen. Liest sich äußerst angenehm. 

- Die Figuren. Schwierig zu beurteilen, da hier ja eben jede Figur aus mehreren Persönlichkeiten besteht. Aber genau das ist ziemlich gut gelungen, so dass trotz der komplizierten Ausgangslage alle (Haupt-)Personen nachvollziehbar charakterisiert und dargestellt sind.

- Der Fokus. Das Thema ist die menschliche Psychologie mit all ihren Facetten, Stärken, Schwächen, Ängsten usw. Doch was ist mit der Welt drumherum? Wann und wo spielt das Ganze? In welchem politischen Umfeld findet das alles statt? Es scheint wohl irgendeine Art von "Kapitalismus im Endstadium"-Gesellschaft zu sein, in der Effizienz über allem steht. Aber letztlich ist das für die Handlung egal. Abgesehen von kleinen Andeutungen bleibt all das im Dunkeln, und genau das funktioniert hier sehr gut. Denn der ganze Rest, die "Außenwelt", ist für die eigentliche Geschichte einfach nicht wichtig, deshalb wird völlig zu Recht auf jede Ablenkung verzichtet.

- Das Tempo. Insgesamt eher gemächlich, was aufgrund der Thematik völlig logisch ist. Aber rechtzeitig, bevor die Story zu einer theoretischen Abhandlung werden könnte, passiert dann eben doch immer etwas. So bleibt es jederzeit interessant.

- Die Fragen, die aufgeworfen werden. Wie fast jede moderne Erfindung oder Technologie, so hat auch diese ihre Vor- und Nachteile: Psychische Krankheiten, Traumata o.ä. können gut behandelt oder sogar von vorneherein ausgeschlossen werden. Man könnte meinen, dass die Menschen mit diesem Implantat glücklicher sind. Doch zu welchem Preis? Was passiert mit persönlichen Bedürfnissen, Träumen, Ideen? Was ist mit der Individualität?

 

Negativ:

- Es stellt sich die Frage, wie glaubwürdig diese Welt ist. Wie realistisch wäre eine solche buchstäblich "auf Knopfdruck" veränderliche Persönlichkeit? Damit ist jetzt gar nicht die technische Umsetzbarkeit gemeint, sondern vielmehr die Praxis, der Alltag. Ob ein vernünftiges Zusammenleben unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch möglich wäre? Das ist dann doch schwer vorstellbar. Kann man sich z.B. verlieben, wenn sich beim Gegenüber regelmäßig essenzielle Charaktereigenschaften verändern? Schwierig.

- Die ganze Handlung dreht sich schon wirklich sehr intensiv um Psychoanalyse, Traumwelt und Selbsterfahrung. So gelungen die Grundidee auch ist: Wer zu diesem ja doch ziemlich speziellen Themengebiet keinen rechten Zugang findet, wird sich hier vermutlich schwer tun. Aber okay - dafür kann der Roman ja nichts. Ist also eigentlich kein wirklicher Kritikpunkt.

 

 

Fazit: Es ist ein ungewöhnlicher SF-Roman, der sicher nicht jedermanns Sache ist. Aber wer bereit ist, ausgetretene Pfade zu verlassen, begibt sich mit "Salzgras & Lavendel" auf eine spannende Reise der etwas anderen Art.


Gabriele Behrend

Salzgras & Lavendel

Eine sf-Lit - Kurzkritik von 2021