Scott Alexander Howard
Das andere Tal
"The Other Valley"
2024
Übersetzung: Anke Caroline Burger
Diogenes
464 Seiten
Die Handlung in diesem Debütroman des Kanadiers Scott Alexander Howard spielt sich in einem abgeschiedenen Tal ab, in dem die technische Entwicklung so etwa auf dem Niveau des mittleren 20. Jahrhunderts liegt. Das Besondere dort: östlich und westlich davon befinden sich zahllose identische Täler, in denen dieselben Menschen leben – nur von Tal zu Tal um zwanzig Jahre zeitversetzt. Also im Westen spielt sich das gleiche Leben VOR zwanzig Jahren ab, im Osten IN zwanzig Jahren (oder vielleicht war’s auch umgekehrt).
Die Grenzen zwischen den einzelnen Tälern sind abgesperrt und streng überwacht, damit niemand nach nebenan wechseln und dort irgendwie Einfluss nehmen kann, denn das würde auch automatisch zu Veränderungen im 20-Jahre-Später-Tal führen. Wenn also z.B. jemand nach Westen geht und dort jemanden tötet, dann würde derjenige sich im Nachbartal praktisch „auflösen“, hätte also nie existiert.
Nur in Ausnahmefällen darf mal jemand – maskiert, unerkannt und unter strenger Aufsicht – kurz ins Nachbartal gehen, um z.B. nochmal einen letzten Blick auf einen verstorbenen Verwandten (wie er/sie vor zwanzig Jahren war) zu werfen o.ä. Dafür muss ein Antrag gestellt werden, über den ein eigens geschaffenes Amt entscheidet.
Klingt kompliziert? Ein wenig. Klingt arg konstruiert? Ja, irgendwie schon. Nun ja.
Die Geschichte setzt ein, als die Protagonistin 16 Jahre alt ist und vor der (nicht ganz freien) Entscheidung über ihr künftiges Berufsleben steht und folgt im weiteren Verlauf ihrem Schicksal über die nächsten Jahre. Die erste Hälfte des Romans liest sich dementsprechend wie ein klassisches Jugendbuch mit allen dazugehörigen Problemen wie Schule, Eltern, Freundschaften, Außenseitertum und erster Liebe. Später nimmt das spezielle Setting dann eine immer wichtigere Rolle ein, was logischerweise zu entsprechenden Verwicklungen und Gedankenspielen führt.
Der Roman hinterlässt zwiespältige Gefühle; so wirklich begeistern konnte er indes nicht. Der Jugendbuch-Teil ist zwar als solcher nicht schlecht und durchaus einfühlsam erzählt, aber irgendwie nicht das, was - mit Blick auf die ungewöhnliche Prämisse - vordringlich an der Geschichte interessant gewesen wäre. Wenngleich, das muss fairerweise gesagt werden, all das, was hier passiert, natürlich für die spätere Handlung wichtig ist. So gesehen ist der Roman zweifellos geschickt aufgebaut und wohl durchdacht.
Allerdings wirkt diese ganze Welt mit ihren zeitversetzten Tälern wie gesagt dann doch etwas an den Haaren herbeigezogen, und bei genauerer Betrachtung funktioniert das an vielen Ecken und Enden nicht so ganz. Das ist natürlich das übliche Zeitreise-Logikproblem (und im Grunde ist das hier ja nichts anderes), aber eine herausstechend elegante Lösung oder Erklärung konnte der Autor in seiner Geschichte eben auch nicht bieten. Die Handlung ist zwar leidlich interessant, überwiegend aber nur mäßig spannend, wobei sie im letzten Viertel durchaus nochmal zulegt und, soviel sei spoilerfrei verraten, zu einem runden und gelungenen Ende führt.
Fazit: Das ist alles irgendwie ganz nett, das schon. Aber nicht so richtig aufregend.