Ulrich Tukur

Der Ursprung der Welt

 

2019

   

 

 

 

 

 

S. Fischer

304 Seiten



Multitalent Ulrich Tukur ist nicht nur einer der bekanntesten und besten deutschen Schauspieler, er ist auch ein begabter Musiker und obendrein mittlerweile ein etablierter Schriftsteller. Neben Kurzgeschichten und Gedichten ist dies nach "Die Spieluhr" sein zweiter Roman, und auch diesmal betätigt er sich wieder auf dem Feld der Phantastik.

 

Es gibt in "Der Ursprung der Welt" zwei Handlungsstränge: einer spielt in der Vergangenheit, im von Deutschen besetzten Frankreich, und einer im Jahr 2033. Hier haben wir also ein SF-Element, und dieses ist zwar dezent untergebracht - im Sinne von: die Welt wird nicht haarklein und allzu detailliert beschrieben-, dafür aber sehr gelungen: Sowohl das zukünftige Europa im Allgemeinen (von wiedererwachtem Nationalismus und Chaos geschwächt) als auch der Handlungsort Frankreich im Speziellen (zu einem totalitären Überwachungsstaat geworden) sind überaus glaubhaft und erschreckend realistisch dargestellt.


Ein weiterer Pluspunkt ist, dass diese Welt des Jahres 2033 nicht bloße Kulisse ist, sondern absolut maßgeblich für die Handlung: Denn erst dadurch, dass diese Zukunft so ist wie sie ist, ergeben sich zahlreiche Parallelen zum Vergangenheits-Strang.
Und um genau diese Parallelen geht es in der Erzählung um einen jungen Mann, der zufällig auf seltsame Vorfälle und Merkwürdigkeiten in seiner Familiengeschichte stößt.
Die beiden Handlungsebenen hängen nämlich eng miteinander zusammen, und das wirkt sich nicht nur auf den Inhalt aus, sondern wird auch stilistisch voll ausgekostet: Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen, Träume und Wirklichkeit verschwimmen, Zeitebenen und Personen verschwimmen. Das ist manchmal etwas verwirrend und fordernd, aber nichtsdestotrotz richtig gut gemacht.


Es handelt sich also nicht ausschließlich um Science-Fiction, auch sonstige übernatürlich-phantastische Elemente spielen eine Rolle. Was man dem Buch vorwerfen kann, ist, dass diese bisweilen etwas zu schwammig und uneindeutig daherkommen. Trotz aller gebotenen Aufmerksamkeit kann das beim Lesen zu gelegentlichen Verständnisschwierigkeiten führen und lässt einen zudem in einigen Szenen auch etwas unbefriedigt zurück, weil man sich hier klarere Erklärungen gewünscht hätte. Für das Ende wäre außerdem noch irgendein größerer "Knalleffekt" denkbar gewesen. Es ist keineswegs misslungen, aber eben auch nicht so spektakulär, wie man hätte erwarten können.

Zum Schluss noch eine kleine Warnung: Wie es sich bei einem solch düsteren Setting kaum vermeiden lässt, mutet uns Tukur einige ziemlich grausame und brutale Szenen zu. Diese werden nicht übertrieben intensiv ausgekostet, sie dienen nicht der bloßen Effekthascherei ... sind aber zweifellos nicht angenehm zu lesen. Das sollte man wissen, bevor man sich auf diese ansonsten doch überwiegend ruhig erzählte Geschichte einlässt.


Alles in allem ist "Der Ursprung der Welt" ein guter, origineller, außergewöhnlicher Roman, der sehr gekonnt geschrieben ist und sich zu lesen lohnt. Gerne mehr davon!


Ulrich Tukur

Der Ursprung der Welt

Eine sf-Lit - Kurzkritik von 2020