Robert Charles Wilson

Kontrolle

"Burning Paradise"

 

2013

 

    

 

 

 

 

 

 

 

  

Übersetzung: Friedrich Mader

Heyne

395 Seiten

TB - Ausgabe 2017



 

Der Hintergrund

Der bekannteste Roman von Robert Charles Wilson dürfte wohl "Spin" sein, der 2006 den Hugo Award gewann und mit "Axis" und "Vortex" noch zwei Fortsetzungen erhielt. Doch auch andere Werke des in USA geborenen Kanadiers, wie beispielsweise "Darwinia" oder "Quarantäne", konnten diverse Preise abräumen. Trotzdem sind einige seiner Bücher nach wie vor nicht auf deutsch verfügbar - ein Mangel, dem der Heyne Verlag nun mit der erstmaligen Übersetzung des 2013 erschienenen "Burning Paradise" entgegenwirkt.

 

 

Das Thema

Fremdbestimmung

 

 

Der Einstieg

"Alles, was danach kam, hätte sich vielleicht anders abgespielt - oder wäre möglicherweise gar nicht geschehen -, wenn Cassie in dieser Nacht nicht wachgelegen hätte."

Wäre das gut oder schlecht gewesen? Diese Frage darf jeder Leser am Ende der Geschichte für sich selbst beantworten.

 

 

Der Inhalt

Der Roman spielt im Jahr 2014 und die Welt feiert gerade "Hundert Jahre Frieden". Somit ist klar: wir befinden uns in einer alternativen Gegenwart. Irgendetwas muss damals geschehen sein, was den uns bekannten Geschichtsverlauf entscheidend verändert hat.

Außerdem gibt es seltsame, äußerlich von Menschen nicht zu unterscheidende Wesen, die den Protagonisten dieser Geschichte ganz offensichtlich nach dem Leben trachten. Zwar entkommen sowohl die achtzehnjährige Cassie als auch zeitgleich der einsiedlerisch lebende Biologe Ethan ersten Anschlagsversuchen, doch von nun an befinden sie sich - Cassie in Begleitung ihres jüngeren Bruders, Ethan gemeinsam mit seiner Exfrau - auf der Flucht vor ihren unheimlichen Verfolgern. 

 

 

Form, Stil und Sprache

Bei "Kontrolle" handelt es sich größtenteils um einen klassischen Road Trip. Genau genommen um zwei Road Trips, denn es wird aus der Sicht von zwei verschiedenen Gruppen erzählt, die sich (mehr oder weniger) unabhängig voneinander durchzu-schlagen versuchen. Zwischen diesen beiden Perspektiven wird kapitelweise hin- und hergewechselt.

Robert Charles Wilson versteht es, spannend und unterhaltsam zu schreiben, ohne dabei allzu reißerisch oder gar platt zu wirken. Sein Roman lässt sich angenehm flüssig "in einem Rutsch" durchlesen.

 


Lob und Kritik

+++++ Gelungenes Panorama - - - - -

Wilson hat sich hier einen hochinteressanten Hintergrund ausgedacht. Zugegeben: Es ist nicht unbedingt alles brandneu. In verschiedenen Varianten hat es einige der hier verwendeten Ideen bereits in früheren Werken der SF-Literatur gegeben. Trotzdem ist die Zusammensetzung der unterschiedlichen Elemente so gut gelungen, dass ein komplexer und spannender Weltentwurf dabei herausgekommen ist. Man muss das Rad ja nicht immer neu erfinden...

 

+++++ Verfolgungsjagd - - - - -

So interessant der Weltenbau insgesamt auch sein mag: Die eigentliche Geschichte ist in weiten Teilen einfach "nur" ein Road Trip bzw. eine Verfolgungsjagd. Das ist natürlich nichts grundsätzlich negatives - zumal es durchaus packend geschrieben ist -, könnte aber Liebhaber von gigantischen, galaxienumspannenden Panoramen möglicherweise dann doch etwas enttäuschen.

 

- - - - - Wenig geheimnisvoll +++++

In vielen Romanen ist es so, dass man als Leser die subjektive Sichtweise eines bestimmten Protagonisten einnimmt und, durch dessen Augen blickend, nach und nach mehr über die Welt erfährt, in der die Story angesiedelt ist. Beziehungsweise über Details und Zusammenhänge, die darin wichtig sind. In "Kontrolle" läuft es hingegen etwas anders: Die meisten Hintergründe sind sowohl den Protagonisten als auch den Lesern praktisch von Anfang an klar. Daher gibt es eigentlich kaum Überraschungen. Das soll nicht heißen, dass die Handlung vorhersehbar wäre - aber die ganz großen Rätsel, was denn wohl hinter allem stecken mag, werden hier nicht aufgegeben.

 

+++++ Gruselig und unheimlich +++++

Seltsame Wesen gehen um. Sie sehen aus wie ganz gewöhnliche Menschen. Sie morden! Wer sind sie? Was sind sie? Und vor allem: Woran soll man sie erkennen? Wer ist gut, wer ist böse?

Die "Sie sind unter uns" - Idee ist zwar nicht gerade neu, aber doch immer wieder faszinierend und gruselig.

 

- - - - - Verpasste Chance - - - - -

Es wird ein interessantes Alternativwelt-Szenario entworfen, aus dem aber letztlich viel zu wenig gemacht wird. Streng genommen spielt es praktisch gar keine Rolle. Die Idee von einer Welt, die seit hundert Jahren in Frieden lebt (mit allen sich daraus ergebenden Veränderungen der Geschichte) wird leider im Verlauf der Handlung völlig vernachlässigt. Dabei hätte eine solche alternative Gegenwart, wäre sie stärker in die Geschichte eingebunden worden, doch noch so viele spannende Möglichkeiten geboten!

 

- - - - - Unklare, fragwürdige oder klischeehafte Elemente - - - - -

Die folgende Aufzählung muss etwas schwammig formuliert werden, um keine Details zu verraten. Sie betrifft einzelne Elemente der Geschichte, die leider etwas unbefriedigend - oder gar nicht - aufgelöst wurden. 

Erstens: Gegen Ende wirken mindestens zwei Szenen etwas unlogisch oder nebulös (im Sinne von: sie werden nicht näher erklärt).

Zweitens: Ein ganz typisches Klischee, welches in Geschichten mit vergleichbaren Szenarien immer wieder auftaucht, wird auch hier bedient.

Drittens: Die genaue Funktions- und Vorgehensweise der sogenannten "Hyperkolonie" bleibt diffus.

 

+++++ Wirft interessante Fragen auf +++++

Ist die "Hyperkolonie" gut oder schlecht für die Menschheit? Ist sie Wohl- oder Übeltäter? Wie würde man selbst handeln? Was ist wichtiger: Frieden oder Freiheit?

Diese Geschichte bietet einige interessante Fragen, über die sich näheres Nachdenken lohnt. Immer ein gutes Zeichen.

 

+++++ Unterhaltsam und spannend +++++

Je länger man nach Beendigung dieses Romans darüber nachdenkt, desto mehr kleine bis mittlere Unstimmigkeiten und Unklarheiten fallen auf. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass man während des Lesens stets neugierig war, wie es weitergeht, dass man das Buch nur schwer aus der Hand legen konnte und vor allem: dass das Lesen richtig Spaß gemacht hat!

 

  

Das Fazit

Ein äußerst unterhaltsamer Roman, der interessante Ideen und spannende Frage-stellungen bereithält - aber auch einige Logiklöcher, Unklarheiten und Klischees.


Robert Charles Wilson

Kontrolle

Eine sf-Lit Rezension von 2017