Andreas Eschbach

Aquamarin

 

2015

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Arena

408 Seiten

Paperback 2016



 

Der Hintergrund

In schöner Regelmäßigkeit wechselt Andreas Eschbach bei seinen Veröffentlichungen zwischen Romanen für Erwachsene (in der Regel von Bastei Lübbe verlegt) und Jugend-büchern, welche dann zumeist im Arena Verlag erscheinen. Doch letztere sind auch für eine "ältere" Leserschaft, die sich nicht prinzipiell an jugendlichen Hauptfiguren stört (und warum sollte man das tun?), absolut geeignet. Wie zum Beispiel "Aquamarin".

 

 

Das Thema

Die Angst vor Andersartigkeit

 

 

Der Einstieg

"'Sie warten auf mich, das sehe ich sofort. Wie sie da stehen, am Ende des langen glitzernden Fischbeckens vor Thawte Hall, kann es überhaupt keinen anderen Grund geben."

Es geht sofort los: das Hauptproblem der Protagonistin lauert schon auf Seite 1.

 

 

Der Inhalt

In Seahaven, einer australischen Küstenstadt gegen Mitte des 22. Jahrhunderts, dreht sich alles um das Meer: Tauchen, Schwimmen und Fischen sind die Hauptbeschäftigungen der Einwohnerschaft; das jährliche Hafenfest stellt den Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens dar. Doch ausgerechnet mit Wasser hat Saha ein Problem, und auch sonst ist so einiges merkwürdig an ihr - das macht sie zur krassen Außenseiterin. Doch was ist es eigentlich, das sie von allen anderen unterscheidet? Sie muss versuchen, ihr eigenes Geheimnis zu lüften.

 

 

Form, Stil und Sprache

Kurz zusammengefasst: ein flüssiger und sehr angenehm zu lesender Schreibstil. Wir erleben die (im Präsens verfasste) Geschichte aus Sicht der 16jährigen Ich-Erzählerin.

Zudem fällt wieder einmal auf, dass original muttersprachliche Texte - also nicht aus anderen Sprachen übersetzte - häufig einfach authentischer wirken. Hier reden die Leute so, wie Menschen im wirklichen Leben eben reden. Viele der mittlerweile aus synchronisierten Filmen und übersetzten Büchern leider schon sehr vertrauten "behelfsmäßigen" Formulierungen ("...halt verdammt noch mal deinen verdammten Mund...") finden sich hier eben nicht.

 


Lob und Kritik

+++++ Glaubhafte Zukunftswelt +++++

Andreas Eschbach entwickelt eine zukünftige Welt, die sehr plausibel und glaubwürdig wirkt. Viele Einzelheiten werden nicht ausdrücklich erklärt, sondern nur soweit angedeutet, wie sie für die Geschichte relevant sind. So erfahren wir quasi nebenbei einiges über die allgemeine Entwicklung künftiger Gesellschaften: Es gibt verschiedene Zonen, in denen unterschiedliche Lebensweisen gepflegt werden. Der Ort der Handlung, Seahaven, wird von den sogenannten "Neotraditionalisten" bewohnt. Diese "Amischen der Zukunft" pflegen einen eher - wie der Name schon sagt - traditionellen Lebensstil und lehnen viele Errungenschaften der Moderne, wie z.B. Genmanipulation, ab, wohingegen in den "Metropolregionen" jeder Fortschritt ungehemmt ausgelebt wird; in den sogenannten "Konzerngebieten" lebt es sich zwar sicher, aber dafür relativ unfrei und fremdbestimmt.

Auch vom Alltagsleben des 22. Jahrhunderts bekommen wir einiges mit: Beispielsweise geht niemand ohne seinen persönlichen Tablet-Computer (der hier sehr schön "Tafel" heißt) aus dem Haus. Man ist mit allem und jedem vernetzt, auch die Kommunikation findet zum großen Teil auf diese Weise statt.

Insgesamt vermittelt dieser Roman ein sehr durchdachtes Szenario: hier werden nicht um des bloßen "Showeffektes" willen möglichst spektakuläre Zukunfts-Gimmicks präsentiert, sondern einfach nur einige realistisch anmutende (Weiter-)Entwicklungen angedeutet.

 

+++++ Eine Teenagergeschichte gegen den Trend +++++

Bei "Aquamarin" handelt sich um ein Jugendbuch, in dem es nicht zuletzt auch um die Gedanken, Gefühle und Probleme eines 16jährigen Mädchens geht. Doch erfreulicherweise hat Andreas Eschbach es nicht nötig, dabei dem derzeit angesagten Trend zu folgen und seinem Roman eine aufgesetzt kitschige Liebesgeschichte aufzuzwingen. Natürlich spielt die Gefühlswelt der Protagonistin eine wichtige Rolle. Aber dieses Buch beweist, dass man davon auch erzählen kann, ohne eine peinliche Klischee-Dreiecksromanze zu bemühen. Hier sind die Menschen - ja: sogar die Jugendlichen! - einfach ganz normal. Sehr erfrischend.

 

 - - - - - Welche Geschichte soll erzählt werden? +++++

Irgendwann im Verlauf des Buches stellt sich die Frage: Wo will der Autor eigentlich mit uns hin? Möchte er eine Teenager-Außenseiter-Geschichte erzählen? Oder einen spannenden Thriller? Dreht es sich hier in erster Linie um das dunkle Geheimnis, das es zu lüften gilt? Oder doch eher um die Entwicklungsgeschichte eines jungen Mädchens in exotischer Umgebung?

Tatsache ist: es gibt von allem ein bisschen. Zeitweise schlingert die Geschichte allerdings etwas unentschlossen zwischen diesen Zutaten hin und her. Aber das darf natürlich auch positiv bewertet werden: Es steckt eine Menge drin!

 

- - - - - Charakterentwicklung der Hauptfigur +++++

Die Protagonistin wird uns als verunsicherte Außenseiterin und etwas weltfremde Einzelgängerin vorgestellt. Ihre Versuche, möglichst unsichtbar zu bleiben und so jeglichem Ärger und den Mobbingattacken ihrer Mitschüler aus dem Weg zu gehen, werden auch durchaus glaubhaft geschildert. Aber gleichzeitig kommt sie in dem, was sie sagt und wie sie handelt meistens ziemlich taff rüber. Sie hat eine klare Meinung, sagt was sie denkt und ist oft erstaunlich schlagfertig. In ihren Gedanken kommt ihre Unsicherheit zwar zum Ausdruck, aber nicht so sehr in ihren Taten.

Die Idee war zweifellos, sie eine Entwicklung durchlaufen zu lassen, an deren Ende sie schließlich entsprechend selbstsicher auftritt. Genau genommen verhält sie sich jedoch bereits zu Beginn des Romans auf diese Weise. Das passt dann aber nicht ganz zu dem Mauerblümchen, als das sie uns eigentlich beschrieben wird.

Nichtsdestotrotz ist sie eine interessante Protagonistin.

 

+++++ Dezente Verweise auf aktuelle Themen +++++

Andreas Eschbach gelingt es in diesem Roman wunderbar, aktuelle Entwicklungen und deren mögliche Auswirkungen aufzugreifen und in seine Geschichte einzubinden. So werden Themen wie Überwachung (alle Aktivitäten auf den privaten "Tafeln" können nachvollzogen bzw. überprüft werden), die Kluft zwischen Arm und Reich (den sehr einfachen Verhältnissen des Großteils der Bevölkerung stehen die abgeschotteten, umzäunten Domizile der Oberschicht gegenüber) oder Scheinheiligkeit (das Propagieren bestimmter Werte und die Ablehnung moderner Errungenschaften geht nur so weit, wie es den eigenen Zielen dienlich ist) aufgebracht, die bereits in unserer heutigen Zeit kontrovers diskutiert werden. Er tut dies aber keineswegs mit erhobenem Zeigefinger oder mahnendem Unterton. Überhaupt kommentiert oder bewertet er dabei nicht, sondern überlässt es seiner - in diesem Fall vermutlich überwiegend jugendlichen - Leserschaft, sich eigene Gedanken zu machen oder Fragen zu stellen.

Und genau diese Art, auf aktuelle Themen hinzuweisen, indem man sie in einem fremden Umfeld darstellt, ist ja schließlich eine der großen Stärken guter Science Fiction!

  

 

Das Fazit

Eine unterhaltsame Geschichte aus einer interessanten Welt, mit unaufdringlich eingestreuter Gegenwartskritik.


Andreas Eschbach

Aquamarin

Eine sf-Lit Rezension von 2016