Omar El Akkad

American War

"American War"

 

2017

     

 

 

 

 

 

 

 

Übersetzung:

   Manfred Allié, Gabriele Kempf-Allié 

S. Fischer

448 Seiten

Gebundene Ausgabe 2017



 

Der Hintergrund

Der in Ägypten geborene, in Katar aufgewachsene, nach Kanada ausgewanderte und heute in den USA lebende Omar El Akkad legte mit "American War" ein Romandebüt vor, das von den Kritiken gefeiert und vielfach auf eine Stufe mit Cormack McCarthys "Die Straße" oder Philip Roths "Verschwörung gegen Amerika" gestellt wurde.

Als Journalist befasste sich El Akkad unter anderem mit dem Krieg in Afghanistan, dem Gefangenenlager von Guantanamo sowie dem Arabischen Frühling; viele der dabei erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen haben in seinem Roman deutliche Spuren hinterlassen.

 

 

Das Thema

Die dünne Schicht der Zivilisation

 

 

Der Einstieg

"Als ich jung war, sammelte ich Postkarten."

Ein Anachronismus - und nicht der einzige in dieser Geschichte.

 

 

Der Inhalt

Nachdem sich mehrere Südstaaten von der Washingtoner Regierung losgesagt haben, entbrennt Ende des 21. Jahrhunderts in den USA ein zweiter Bürgerkrieg. Und auch sonst hat sich die Welt in vielerlei Hinsicht verändert: Der Klimawandel hat für neue Landkarten gesorgt, da die Küstenregionen mittlerweile weitgehend überflutet wurden - was unter anderem für eine riesige Fluchtbewegung ins Landesinnere gesorgt hat.

Die Machtverhältnisse in der Welt haben sich drastisch gewandelt, da Amerika in erster Linie mit sich selbst beschäftigt und damit weltpolitisch praktisch bedeutungslos geworden ist. China und ein jüngst entstandenes Reich im nahen Osten sind die neuen Supermächte, die von Amerikas Schwäche profitieren und gleichwohl dort auch eigene Interessen verfolgen.

Auf dieser Bühne wird in "American War" die Geschichte einer Familie aus dem Süden der ehemaligen USA erzählt; hierbei insbesondere die Lebensgeschichte der jungen Sarat, die in jener veränderten Welt aufwächst und im Laufe ihres Lebens mal ein bloßer Spielball und mal eine aktive Gestalterin dieses neuen Amerika ist.

 

 

Form, Stil und Sprache

Es existieren mehrere Erzählebenen: Die Ereignisse werden rückblickend von einem "übergeordneten" Ich-Erzähler geschildert, der jedoch nur selten selbst in die Handlung eingreift. Um seine eigene Geschichte dreht es sich nämlich nur am Rande, überwiegend geht es um die der eigentlichen Hauptfigur: dem Mädchen - später der jungen Frau - namens Sarat. Das mag jetzt verschachtelter klingen als es letztlich ist ...

Omar El Akkad schreibt in einem klaren, schnörkellosen Stil, sprachlich anspruchsvoll und eingängig zugleich. Immer wieder gelingen ihm wunderbar pointierte Formulierungen und Sätze, die sich nachhaltig einprägen. Angenehm zu lesen und mit etlichen zitierfähigen Passagen:

"Es ist eine alte Sitte in diesem Land, Generationen nach den Kriegen zu benennen, in denen sie hätten sterben sollen, [...]" (S. 10)

 


Lob und Kritik

+++++ Eine kluge Analyse +++++

Es ist eine düstere Geschichte, die hier in eindringlicher Sprache erzählt wird. Viele interessante Ideen und Gedanken entfalten sich, immer wieder fallen kluge Sätze ("Im Krieg kämpft man mit Waffen, im Frieden mit Geschichten") und immer tiefer werden wir in die komplexe und glaubwürdig dargestellte Welt hineingezogen. Doch so interessant und gut ausgearbeitet die Hintergründe auch sind: bei alledem stehen stets die Menschen im Mittelpunkt: ihr Handeln, ihr Denken, ihre Stärken und - insbesondere - ihre Schwächen.

Wahrlich keine leicht verdauliche Kost, aber hier war zweifellos ein guter Beobachter und scharfer Analytiker am Werk.

 

+++++ Sehr politisch +++++

"American War" ist ein sehr politischer Roman, der etliche hochbrisante und aktuelle Themen behandelt. Das tut er jedoch keinesfalls in moralisierender oder belehrender Weise, sondern vor allem mit Blick auf die unmittelbar Betroffenen.

Das Thema Klimawandel lässt sich bei fünfzig oder hundert Jahre in der Zukunft spielenden Geschichten ohnehin nicht vermeiden. Hier ist er in vielerlei Hinsicht entscheidender Auslöser für eine ganze Reihe von einschneidenden Ereignissen bzw. Entwicklungen.

Darüber hinaus geht es um Krieg und Vertreibung, um Grausamkeit und Mord, um illegale Gefangenenlager. Es geht um traumatisierte junge Menschen, um Folter und den Verlust der Menschlichkeit, um gewissenlose Verführer und Seelenfänger und um unvorstellbare Verbrechen.

Und nicht zuletzt geht es um die Entstehung von Hass, Vorurteilen und Misstrauen - wie schnell es damit gehen kann, wie leicht solche zerstörerischen Emotionen entstehen können. Sei es durch äußere Umstände, plötzliche Veränderungen alter Ordnungen und Gewissheiten oder auch durch gezielte Beeinflussung durch Dritte. Und das muss gar nicht irgendwo weit weg sein, es muss sich nicht gegen Fremde oder gegen Unbekanntes richten - nein, es kann auch unter vermeintlich Gleichen passieren. Einfach so und jederzeit.

Es ist erstaunlich, es ist realistisch, es ist erschreckend.

 

- - - - - Unsympathische Hauptfigur +++++

Es ist als Leser immer etwas schwierig, mit einer Hauptfigur mitzufiebern, die man nicht mag. Genau so verhält es sich hier. Ihr Charakter ist fragwürdig, ihre ganze Art wirkt unsympathisch, ihr Verhalten empfinden wir oft als unangenehm und im Grunde könnte uns ihr Schicksal relativ egal sein.

Dennoch hat Omar El Akkad seine Protagonistin gut gewählt, denn ...

 

+++++ Absolut überzeugende und unvergessliche Hauptfigur +++++

... dadurch, dass wir so nah an ihr dran sind, lernen wir sie und ihre Denkweise kennen. Das heißt natürlich nicht, dass wir ihre Taten verstehen, nachvollziehen oder gar gutheißen können. Aber die Figur ist so plastisch und plausibel dargestellt, dass sich erahnen lässt, warum sie sich innerhalb ihrer eigenen Logik so verhält wie sie es tut. Man mag sie zwar nicht, aber bekommt doch immerhin eine Ahnung davon, wie so ein Mensch tickt.

Mit einer dermaßen überzeugenden und glaubwürdigen Darstellung dieses schwierigen Charakters ist dem Autor nichts Geringeres als ein Geniestreich gelungen.

  

 

Das Fazit

Meisterhaft erzählt und geradezu schmerzhaft realistisch.


Omar El Akkad

American War

Eine sf-Lit Rezension von 2018