Deutschlandreise



 

 

 

Zweites Ziel:

Nach der kurzen Stippvisite über Hessen führt mich der Weg nun erneut nach Rheinland-Pfalz. Und wieder ist die Entfernung überschaubar, so dass sich die Reisestrapazen noch in Grenzen halten (oder anders gesagt: nicht vorhanden sind).

Dass bei der Gesamt-Anzahl von immerhin dreizehn (=Rekord) Städten mit dem Namen "Neustadt" eine davon gezogen werden würde, war ja schon rein statistisch gar nicht so unwahrscheinlich. Aber unabhängig davon hat mir das Los diesmal tatsächlich ein Ziel beschert, das sogar einigermaßen bekannt ist.

 

Und wofür ist es unter anderem bekannt? Na klar - wie der Name schon sagt: Wein.

 

 

Zugegeben: Anfang Februar sieht das noch nicht besonders spektakulär aus. Aber trotzdem lässt ein Blick auf die umliegenden Weinberge schon erahnen, was hier im Spätsommer los ist.

Apropos Wein: In Neustadt a.d.W. wird üblicherweise, also zumindest meistens, die jährlich gewählte Deutsche Weinkönigin gekürt. Diese Zeremonie findet dann in der örtlichen Stadthalle statt ...

 

 

... und wird auch gerne mal vom SWR übertragen. Ein gewichtiges Ereignis also.

Solche Wahlen gibt es nun schon seit fast 100 Jahren und sie fanden zunächst nur regional statt, doch seit 1950 wird auch explizit eine deutschlandweite Weinkönigin gewählt. Ursprünglich stammt die Idee aus der Pfalz - umso bemerkenswerter ist, dass die derzeitige Amtsträgerin Fränkin ist. Sowas hat's schon seit 15 Jahren nicht mehr gegeben! Einfach verrückt, was hier alles möglich ist.

Doch damit nicht genug: Seit dem Jahr 2000 dürfen sogar verheiratete(!) oder geschiedene(!!) Frauen gewählt werden. Wo soll solche Modernisierung nur hinführen? Am Ende wird eine Weinkönigin noch Bundeslandwirtschaftsministerin. Oh ...

 

Na gut, fairerweise muss man sagen, dass das mittlerweile kein reiner Schönheitswettbewerb mehr ist, sondern auch andere, durchaus anspruchsvolle Kriterien eine Rolle spielen. (Ob das zu Frau Klöckners Zeiten bereits der Fall war, habe ich auf die Schnelle nicht recherchiert. Da können wir also nur spekulieren.)


 

Außerdem hat Neustadt etwas historisch sogar NOCH bedeutsameres zu bieten: Vor den Toren der Stadt liegt nämlich das Hambacher Schloss. Mir als altem Aushilfs-Historiker und überzeugtem Demokraten fällt dazu natürlich sofort das Hambacher Fest ein. (Na gut, zugegeben: bis Gestern war mir dessen genaue geographische Lage noch nicht bekannt. Aber Reisen soll ja schließlich auch bilden.) Also nichts wie hin.

 

Es sind vom Altstadt-Zentrum aus nur gute vier Kilometer, deshalb habe ich mich nach kurzem Zögern todesmutig für einen Fußmarsch entschieden. Das Lästige an Burgen und Schlössern ist allerdings, dass sie bevorzugt auf Bergen gebaut wurden. Also oben! Das sollte sich nun rächen.

 

"Die ersten zehn Millionen Stufen waren am schlimmsten."

"Die zweiten zehn Millionen Stufen waren auch am schlimmsten."


(Frei nach Marvin, dem depressiven Roboter.)


 

 

 

 

Kurze Verschnaufpause.

 

Wer braucht bei 8 Grad schon eine Jacke?

Weg damit!


 

Geschafft.

Und freudig begrüßt worden.

 

 

 

Erstmal schnell ein paar Basics draufschaffen.



 

Das Hambacher Schloss - ursprünglich im 11. Jahrhundert als mittelalterliche Burg erbaut - hat eine bewegte Geschichte hinter sich, wovon es einen nicht unbeträchtlichen Teil als Ruine verbrachte. Berühmtheit erlangte es durch das sogenannte "Hambacher Fest" von 1832; einer Art vorrevolutionärer Großveranstaltung, an der schätzungsweise 20-30.000 Menschen teilnahmen und auf der u.a. für Pressefreiheit, nationale Einheit, Mitbestimmungs- und Bürgerrechte eingetreten wurde.

 

Im obersten (natürlich!) Stockwerk findet zur Zeit eine Ausstellung zu eben jener Veranstaltung statt. Sie nennt sich "Hinauf, hinauf zum Schloss!" und könnte also treffender nicht sein. Der Titel bezieht sich auf den sogenannten "Zug zum Schloss", bei dem tausende Menschen am 27. Mai 1832 vom Neustadter Marktplatz hinauf zum eigentlichen Veranstaltungsort gezogen sind.

(Nachdem ich diesen Weg nun selbst zurückgelegt habe, könnte ich mir vorstellen, dass beim Start noch doppelt so viele dabei waren. Aber das ist historisch wohl nicht belegt.)

 

Eine hochinteressante Ausstellung auf jeden Fall, bei der ich vieles über die Hintergründe, Entstehung und Auswirkungen dieses Ereignisses gelernt habe. Nicht zuletzt über die Bedeutung der Schwarz-Rot-Goldenen Fahne, die von vielen der heutzutage von Nationalstolz Überwältigten so grundfalsch verstanden und verwendet wird.

Ich kann sie nur allen wärmstens empfehlen. (Also die Ausstellung, nicht diese Leute.)

 


Eine schöne Aussicht gibt's noch obendrein.

 


Hambacher Schloss damals

wie heute

 

stabil.



Nach diesen körperlichen wie bildungsbürgerlichen Strapazen begebe ich mich zurück in die Altstadt und tue es der dortigen Skulptur gleich: ich schnappe mir etwas zu lesen, mache es mir gemütlich und genieße den Nachmittag. Das gute Gefühl, mit Buchkauf und Cafébesuch die Neustadter Wirtschaft zu unterstützen, wird nur noch dadurch getoppt, dass es sich um eine extrem entspannte Wohlfühl-Lektüre handelt.

Ich weite meine Unterstützung daher noch um ein paar zusätzliche Getränke aus.

 



 

Überhaupt, die Altstadt: nicht jedes Haus in der verwinkelten Fußgängerzone ist gleichermaßen liebevoll restauriert, aber es gibt doch jede Menge schöne, sehenswerte Gebäude, Plätze, Brunnen und Ecken. 




Doch das war es dann auch schon wieder mit meinem Besuch in Neustadt an der Weinstraße. Nun muss ich weiterziehen. Es warten schließlich noch andere Städte auf mich. Auch wenn die das noch nicht wissen ...