Jeff Vandermeer

Autorität

"Authority"

 

2014

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

Übersetzung: Michael Kellner

Verlag Antje Kunstmann

363 Seiten

1. Ausgabe 2015



 

Der Hintergrund

"Autorität" ist der zweite Teil der "Southern Reach Trilogie" des Amerikaners Jeff Vandermeer. Diese Rezension kann durchaus auch ohne Kenntnis des ersten Bandes ("Auslöschung") gelesen werden - der Roman selbst hingegen nicht.

 

 

Das Thema

Rätselhafte Ereignisse, die von einer nicht minder rätselhaften Organisation aufgeklärt werden sollen.

 

 

Der Einstieg

"In seinem Traum ist es früher Morgen, der Himmel tiefblau mit einem Anflug von Licht."

Es beginnt mit einer Traumsequenz, und traumartig erscheinen auch weite Teile der folgenden Geschichte.

 

 

Der Inhalt

Der erste Teil dieser Trilogie behandelte die mysteriöse "Area X" - ein Gebiet, in dem seit Jahrzehnten merkwürdige Dinge vorfallen, Menschen verschwinden und die Natur sich zu verändern scheint. In diesem zweiten Band hingegen geht es in erster Linie um "Southern Reach" - jene Regierungsorganisation also, die einst geschaffen wurde, um Area X zu untersuchen und herauszufinden, was genau dort eigentlich vorgeht. Sie bekommt einen neuen Direktor, der die Arbeit seiner kürzlich verschollenen Vorgängerin fortsetzen soll. Doch wie sich bald herausstellt, birgt nicht nur Area X Geheimnisse, sondern auch "Southern Reach" selbst.

 

 

Form, Stil und Sprache

Die Handlung dieses Romans wird uns aus Sicht des neuen "Southern Reach"- Vorsitzenden geschildert. Zwar tritt er, anders die Biologin im ersten Buch, nicht als Ich-Erzähler auf, aber dennoch ist er die Identifikationsfigur, durch dessen Augen wir die Geschehnisse beobachten. Dadurch befinden wir uns stets genau auf seinem (Nicht-)Wissensstand. Gelegentliche Rückblenden bringen uns seinen beruflichen Werdegang und - sehr wichtig - sein familiäres Umfeld näher.

 

 

Lob und Kritik

+++++ Willkommen im Mikrokosmos einer geheimen staatlichen Institution +++++

Mit der Darstellung von "Southern Reach" liefert Jeff Vandermeer eine sehr gelungene und detailreiche Schilderung des Innenlebens einer Behörde, die allmählich an Bedeutung zu verlieren droht. Wir erhalten Einblick in die alltäglichen Probleme vor Ort: so wurde beispielsweise das Personal im Laufe der Jahre reduziert und die verbliebenen Angestellten müssen mit unzeitgemäßer, technisch überholter Ausstattung zurecht-kommen. Zudem scheinen sie größtenteils damit beschäftigt zu sein, sich selbst zu verwalten oder zu rechtfertigen, und drohen dabei manchmal das ursprüngliche Ziel ihrer Arbeit aus den Augen zu verlieren.

Auch das Geflecht der Mitarbeiter untereinander ist sehr schön beschrieben: Es geht um Machtstrukturen, Hierarchien und Außendarstellung. Intrigen und Kompetenzgerangel sind an der Tagesordnung. Diese lebendige Beschreibung wirkt wunderbar glaubhaft und liest sich für uns als außenstehende Beobachter äußerst vergnüglich.

 

- - - - - Kaum Handlung - - - - -

Es geht in diesem Buch in erster Linie um die Darstellung eines Gefühls bzw. einer bestimmten Grundstimmung. Spannung und Gruselfaktor ergeben sich aus der Existenz des Unheimlichen, Unbekannten, des Nicht-Greifbaren. Dementsprechend sollte man nicht erwarten, dass sich die Ereignisse überschlagen oder eine dramatische Szene sich an die nächste reiht. Das hat im ersten Teil der Trilogie  wunderbar funktioniert: Er lebte in erster Linie von seiner düsteren und geheimnisvollen Atmosphäre. Hier wird hingegen die meiste Zeit nur über düstere und geheimnisvolle Dinge, die vielleicht mal passiert sein könnten, geredet oder nachgedacht. Während man sich im ersten Band ständig fragte: "Welche seltsamen Dinge passieren als nächstes?", fragt man sich hier nur: "Wann passiert überhaupt mal irgendetwas?"

Eine Geschichte, die ihre Spannung nicht aus actionreicher Handlung bezieht, sondern aus der Stimmung, die sie aufbaut, kann hervorragend funktionieren. Aber sich überwiegend nur in Andeutungen zu ergehen, (fast) ohne eine Entwicklung auf der Handlungsebene anzubieten, reicht für die gesamte Dauer eines Romans einfach nicht.

 

- - - - - ZU nebulös - - - - -

Es gehört zu den großen Stärken des ersten Teils dieser Trilogie, dass viele mysteriöse Dinge nur angedeutet werden, die Bedeutung mancher Ereignisse unklar bleibt und wir Leser lange im Dunkeln tappen. Dadurch wird eine ganz spezielle Atmosphäre und ein ganz besonderes Maß an Spannung geschaffen. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich als Leser dann doch ein bisschen Klarheit wünscht, um sich nicht völlig verloren vorzukommen. In "Auflösung" bekommt man diese Klarheit stückchenweise serviert, und zwar regelmäßig genau zum richtigen Zeitpunkt. Es wird keine vollständige Lösung geliefert, aber immer genau soviel gelüftet, dass das Interesse hoch gehalten wird.

In diesem zweiten Teil jedoch wird die "Vernebelungstaktik" eindeutig zu weit getrieben. Es tauchen immer neue Merkwürdigkeiten und noch verworrenere Details auf, ohne dass je irgendeine Art der Aufklärung erfolgt. Auch bei den Dialogen ärgert man sich, dass Fragen oftmals einfach nicht beantwortet oder sogar überhaupt nicht erst gestellt werden.

So verliert man allmählich den Überblick, und das führt dann eben nicht mehr zur Erzeugung einer knisternden Atmosphäre. Im Gegenteil: irgendwann fühlt man sich vom Autor ziemlich alleingelassen. Wo Teil 1 noch geheimnisvoll war, ist Teil 2 nur noch verwirrend.

 

 

Das Fazit

Ein Fest für Liebhaber von kafkaesken Rätseln, nebulösen Andeutungen, unbeantworteten Fragen und unklaren Gedankengängen. Allerdings - im Gegensatz zum Vorgänger - wirklich NUR für jene. Alle anderen könnten es verworren und langweilig finden.


Jeff Vandermeer

Auslöschung

Eine sf-Lit Rezension von 2015